Meinungsbeitrag zur KMU-Nachhaltigkeitsberichterstattung: «Gutes tun, Bürokratie vermeiden»

Der vom Volk angenommene indirekte Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative betraf insbesondere grössere börsenkotierte Gesellschaften. So mussten sie in diesem Jahr zum ersten Mal einen verpflichtenden Transparenzbericht über nichtfinanzielle Belange veröffentlichen, in dem sie Rechenschaft über Umwelt, Soziales, Arbeitnehmerbelange, Menschenrechte und die Bekämpfung von Korruption ablegten. Noch bevor die erste Berichtsperiode abgelaufen ist, hat der Bundesrat im Juni einen Vorentwurf für die Ausweitung und Verschärfung dieser Bestimmungen in die Vernehmlassung geschickt. Ziel der Vorlage sei die Anpassung des schweizerischen Rechts an die Corporate Sustainability Reporting-Richtlinie der EU (CSRD).

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Schweizer KMU im Visier verschärfter Vorschriften
Hiesige KMU würden vor gewaltige Herausforderungen gestellt, sollte die Vorlage des Bundesrates so in Kraft treten. Der Kreis der Unternehmen, die einen Transparenzbericht über Nachhaltigkeitsaspekte veröffentlichen muss, wird deutlich weiter gezogen. Es wird geschätzt, dass rund 3‘500 Unternehmen berichterstattungspflichtig würden. Hinzu kommt, dass auch nicht berichtspflichtige Unternehmen indirekt erfasst werden dürften, da sie in die Berichterstattung ihrer Kunden eingebunden werden. Ausgenommen wären nur KMU, die weder börsenkotiert noch FINMA-unterstellt sind und in zwei aufeinanderfolgenden Geschäftsjahren zwei der folgenden Schwellenwerte nicht überschreiten: a. Bilanzsumme von CHF 25 Mio.; b. Umsatzerlös von CHF 50 Mio.; c. 250 Vollzeitstellen im Jahresdurchschnitt.
Bürokratie mit Augenmass?
Nebst der Ausweitung des Adressatenkreises würden die Offenlegungspflichten auch inhaltlich verschärft und an die europäische CSRD angelehnt. Neu soll es nicht mehr genügen, dass Unternehmen über die verschiedenen ESG-Aspekte (Environment, Social and Governance) berichten, sie müssten sich auch jeweils Ziele setzen. Während bisher Unternehmen weitgehend selbst beurteilen konnten, welche ESG-Aspekte für ihre Tätigkeit relevant sind und deshalb im Bericht beschrieben werden sollen, wird die Liste der Bereiche, die in jedem Fall beschrieben werden müssen, massgeblich erweitert: Geschäftsmodell, Strategie und Unternehmenspolitik, Nachhaltigkeitsziele, Rolle und Anreizsystem des Verwaltungsrats, angewandte Sorgfaltsprüfung, negative Auswirkungen sowie Risiken und Massnahmen. Die Berichterstattungspflichten gehen sogar über das einzelne Unternehmen hinaus und erfassen teilweise auch seine Wertschöpfungs- und Lieferkette. Sodann müssen alle Gesellschaft den Nachhaltigkeitsbericht nach Vorlage an die Generalversammlung online publizieren. Ein Novum für privat gehaltene Gesellschaften.
Erleichterungen wären dringend nötig
Flexibilisierungsmechanismen, die den KMU die Umsetzung der Nachhaltigkeitsvorschriften erleichtern würden, wie Safe harbour-Regeln oder ein Opting-out, das den Aktionären einer Gesellschaft erlaubt hätte, die Gesellschaft von den Berichterstattungspflichten zu befreien, fehlen im Vernehmlassungsvorschlag weitgehend. Ganz im Gegenteil. So soll das heute bestehende „Comply or Explain“-Prinzip gestrichen werden, das Unternehmen erlaubt, über gewisse ESG-Aspekte nicht zu berichten, wenn es erklärt, weshalb sie nicht für das Unternehmen relevant sind. Zudem müssten Nachhaltigkeitsberichte neu von der Revisionsstelle geprüft werden. Zuständig dafür wären Revisionsunternehmen oder sog. Konformitätsbewertungsstellen. Der Bundesrat würde die Prüftiefe festlegen, entweder als begrenzte Prüfung, bei der nur festgestellt wird, ob die Angaben zu Nachhaltigkeitsaspekten unvollständig oder falsch sind (negative/limited assurance), oder als umfassendere Prüfung, die sicher-stellt, dass die Angaben vollständig und korrekt sind (positive/reasonable assurance). Schliesslich müsste die Nachhaltigkeitsberichterstattung den strengen europäischen Standards (ESRS) oder anderen gleichwertigen Standards entsprechen. Andere anerkannte und heute übliche Standards würden nicht genügen.
Rechtfertigt der Nutzen die Kosten?
Was Grossunternehmen vielleicht noch stemmen können, wäre für viele KMU eine grosse finanzielle und personelle Belastung ohne wirklichen Mehrwert für die Umwelt und Aussenstehende. Während anfangs Oktober 2024 17 von 27 EU-Mitgliedstaaten mit der Umsetzung der CSRD im Rückstand waren, will die Schweiz in der Nachhaltigkeitsberichterstattung offensichtlich in vorauseilendem Gehorsam den Musterknaben spielen. Statt unternehmerische Flexibilität und Innovation zu fördern und auszuzeichnen, wie das u.a. der SVC mit seinen Preisen und weiteren Aktivitäten tut, droht diese Gesetzesvorlage eine weitere bürokratische Schreibtischübung vor allem für KMU zu werden. Deshalb ist zu hoffen, dass sich die Wirtschaft und insbesondere die mittelständischen Unternehmen in der anstehenden öffentlichen Diskussion einbringen und die Vorlage dorthin befördern, wo sie hingehört: auf die lange Bank. Damit uns allen mehr Zeit für echte Taten für Umwelt und Gesellschaft bleibt.
Marc Haslin
Name
Dr. Marc Hanslin
Position / Unternehmen
MBA, Rechtsanwalt und Partner bei Kellerhals Carrard in Basel
Unternehmensbeschreibung in 3 Sätzen

Kellerhals Carrard ist mit über 300 Berufsträgerinnen und Berufsträgern und Standorten in Basel, Bern, Genf, Lausanne/Sion, Lugano und Zürich sowie Vertretungen in Binningen, Gstaad, Shanghai und Tokio die größte Anwaltskanzlei der Schweiz. Um Unternehmen in Nachhaltigkeitsthemen effizient und kompetent beraten zu können, hat KC vor einigen Jah-ren die Expertise gebündelt und einen dezidierten interdisziplinären Sustainability & ESG Desk lanciert.

Roman Aus der Au
Name
Dr. Roman Aus der Au
Position / Unternehmen
M.A. HSG in Law and Economics, Rechtsanwalt bei Kellerhals Carrard in Zürich